C D s
NEUES AUS
DER MUSIKWELT
OLDIES
Franz Schöler ist seit über
4 0
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Eric Clapton
GIVE ME STRENGTH:
THE 7 4 /7 5 RECORDINGS
P o ly d o r 5 CDs (3 2 7 ') + B lu -ra y A u d io
(a u c h a ls LP)
REPERTOIREWERT
ÜBERSPIELQUALITÄT ★
★
★
★
★
Heroinsucht hatte Eric Clapton so
weit ruiniert, dass Manager Robert
Stigwood die Miete für das Haus mit
der Nummer 461 am Ocean Boule-
vard von Golden Beach bezahlen
musste, als er die überwunden hat-
te. In dem Anwesen wohnte Clap-
ton während der Sessions zu der LP,
die mit der Single „I Shot The She-
riff“ sein Comeback einläutete und
ein Millionenseller weltweit wurde.
Wieso bei der ganze neun Mona-
te später nachgelegten LP „There’s
One In Every Crowd“ nur noch we-
nig von dem Aufbruchsgeist und
den hochfliegenden Ambitionen zu
hören war, ist schwer erklärlich. Das
war eine ungleich weniger inspirier-
te Songkollektion.
Nach der Deluxe-Edition 2004
von „461 Ocean Boulevard“ konn-
ten nun auf den ersten beiden CDs
des neuen Box-Sets weitere Outta-
kes präsentiert werden, die nach
den Sessions in den Criteria Studios
in Miami erstmal ins Archiv verbannt
worden waren. Bei etlichen handelt
es sich um exzellente Aufnahmen,
darunterauch die hier
erstmals zu hörende
instrumentale „Give
Me Strength
(Dob-
ro i) “-Fassung von
Claptons Gospel-Ge-
bet. Bei den in Ja-
maika aufgenomme-
nen späteren Songs
konnte man im Fall
von „Better Make It
Through Today“ eher
über neuerliche Dro-
genabhängigkeit zu
spekulieren
begin-
nen. Tröstend klang immerhin das
traditionelle Spiritual „We’ve Been
Told (Jesus Is Coming Soon)“.
„461 Ocean Boulevard“ wurde im
Remaster von 2004 übernommen,
die Surround-Version auf Blu-ray-
Plättchen ist ein neuer Elliott-Schei-
ner-Mix. Was den Sammlerwert der
Box drastisch steigert, sind zum ei-
nen die ungekürzten Criteria-Ses-
sions mit Freddie King (CD 5) und
die beiden aus vier Konzerten zu-
sammengestellten Live-CDs: Clap-
ton in Hochform als Gitarrist über
fast zweieinhalb Stunden, wobei
die Bänder ganz famos neu abge-
mischt wurden.
OLDIE
DES
MONATS
The W ho
TOM M Y - SUPER DELUXE EDITION
U n iv e rs a l 3 CDs (2 0 5 ') + B lu -ra y A u d io (a u ch a ls LP)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ V
ÜBERSPIELQUALITÄT ★
★
★
★
★
Als
für
die
Hybrid-SACD
der
Tommy-Deluxe-Edition von 2003 oh-
nehin ein Surround-Remix zu produ-
zieren war, nahmen Pete Townshend
und Tonmeister Jon Astley gleich
noch einen komplett neuen Ste-
reo-Mix vor. Dem damals gerade
wehenden Zeitgeist entsprechend
wählte Astley bei der Überspielung
einen gerade noch die Grenze des
Machbaren nicht überschreitenden
hohen Pegel.
Tätige Reue demonstrierte er nach
der ganzen „Loudness war“-Debat-
te nun beim brandneuen Remaster
für die Super-Deluxe- Edition - mit
einem etwa fünf Dezibel niedrigeren
Pegel, bei dem die originale Dyna-
mik der Aufnahmen besser zur Gel-
tung kommt. Wie weit sich „Tommy“
in der Klangästhetik und im gesam-
ten Sound-Konzept nicht nur von
den frühen Shel-Talmy-Produktio-
nen, sondern auch von dem (eben-
falls und auch eher nominell!) von
Kit Lambert produzierten „The Who
Sell Out“ unterschied, fällt noch
deutlicher auf, wenn man das fer-
tige Album mit Townshend-Demos
vergleicht. Die hat Astley für diese
Ausgabe komplett neu abgemischt,
jetzt im Sequencing des Original-Al-
bums auf der zweiten CD zu hören.
(Die Deluxe-Ausgabe von 2003 prä-
sentierte eine Auswahl der Demos
in, vorsichtig formuliert, eher be-
scheidener Klangqualität.)
Als Remix ist jetzt auch der später
durch die Konzertauftritte und den
„Live At Leeds“-Mitschnitt berühmt
gewordene „Young Man Blues“ von
Mose Allison in der Studioaufnah-
me zu hören. Der ist in dieser Ab-
mischung eine absolute Sternstun-
de im Vermächtnis der Who, ein ful-
minantes Stück Hardrock von der-
selben Klasse wie „I Can See For
Miles“, mit den jeden Moment ex-
plodierenden Keith Moon und John
Entwistle und einem brillanten So-
lo Townshends. Danach versteht
man auch, warum - wie in den die
ganze Produktion gründlich doku-
mentierenden Liner Notes noch ein-
mal erzählt - Jimmy Page und Ro-
bert Plant den Who-Schlagzeuger
mal fragten, wann die Band end-
lich mal eine richtige Hardrock-Ver-
sion von „Tommy“ aufnehmen wer-
de. Aber seine Hardrock-Ambitio-
nen lebte Townshend erst beim „Li-
fehouse“-Projekt und bei „Who’s
Next“ wieder aus. Bei den Sessions
zu „Tommy“ musste er noch vehe-
ment alle Ideen von Manager Lam-
bert abwehren, der für die Aufnah-
men allen Ernstes ein Sinfonieor-
chester engagieren wollte!
Das Official Bootleg in diesem
Set, weithin bei einem Konzert in
Kanada 1969 mitgeschnitten, ist
nette Beigabe, war aber allenfalls
Probe für die großen Auftritte in
Leeds und Hull Monate später. Der
Surround-Mix ist der gleiche wie
2003.
M ike B loom field
FROM HIS HEAD TO
HIS HEART TO HIS HANDS
S on y L e g acy 3 CDs______________(193') + DVD
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ V
ÜBERSPIELQUALITÄT ★
★
★
Als guter Geist an der Orgel inspi-
rierte Al Kooper unter anderem die
„Highway 61 Revisited“-Sessions.
Dass man ihm die Aufgabe über-
trug, für eine Werkschau des 1983
an Heroin zugrunde gegangenen
Kollegen Michael Bloomfield eine
optimale Auswahl aus verfügbaren
Aufnahmen zu treffen, war eine klu-
ge Entscheidung. Bloomfield hatte
Dylan bei „Like A Rolling Stone“ so
eindrucksvoll assistiert, dass der
ihn mit der Butterfield Blues Band
als Begleiter für den berühmten, mit
eingestöpselter Gitarre absolvierten
Skandalauftritt in Newport enga-
gierte. Auch Harmonika-Mann Paul
Butterfield konnte sich glücklich
schätzen, dass Bloomfield recht-
zeitig vor den Aufnahmen zu den
ersten beiden (den besten!) LPs sei-
ner Band eingestiegen war.
Grenzenlose Bewunderung ge-
noss Bloomfield nicht nur als Gi-
tarrist, sondern auch als Intellek-
tueller! (In den Liner Notes verrät
Charlie Musselwhite, dass er zudem
über ein fotografisches Gedächt-
nis verfügte.) Viel größere Kompli-
mente als über ihn hat Miles Davis
(1969 im „Rolling Stone“) selten
über Kollegen geäußert. Eric Clap-
ton zitieren die Liner Notes mit der
1966 geäußerten Bemerkung: „Mi-
chael Bloomfield is music on two
legs.“ Nach Griin-
dung der Electric
Flag ließ er sich
auf das zum Mil-
lionenseller avan-
cierende „Super
Session“-Projekt
mit Kooper und
Stephen
Stills
ein. Dabei waren
ihm Star-Ambitio-
nen völlig fremd.
Dass er 1970
dann, um seine
chronische Schlaflosigkeit zu be-
kämpfen, bewusst eine Junkie-Kar-
riere begann, war wiederum der
Karriere als Musiker nicht förder-
lich. Eine bessere Einführung in
sein Schaffen als die hier gebo-
tene ist - zumal wegen der vielen
Raritäten - kaum vorstellbar. Die
Live-Mitschnitte sind dabei im-
mer von passabler, aber auch mal
variabler Überspielqualität.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 3/2014 135